Kapitel 07: Grandon

Der Schrei eines Falken drang durch das dichte Blätterdach der Bäume. Manche von ihnen waren schon hunderte von Jahren alt. Mächtig und imposant waren sie. Das Blattwerk eines einzelnen Baumes konnte eine Spannweite von zwölf Metern erreichen, manchen Stamm konnte man mit fünf erwachsenen Männern nicht umgreifen. Zwischen diesen mächtigen Kala'tao-Bäumen huschte eine im Gegensatz zu ihnen winzige Gestalt umher. Sie antwortete dem Ruf des Falken mit einem Pfeifen. Die Person schälte sich langsam aus den dunklen Schatten der Bäume; es war ein junges Mädchen, kaum älter als sechszehn Sommer. Es begab sich auf eine kleine Anhöhe auf der ein Fels, wie ein Finger aus dem Boden ragte und zum Himmel zeigte und von mehreren Lichtkegeln bestrahlt wurde. Ryn, das war der Name des Mädchens, kletterte auf diesen Fels und sah abwartend zu den dichten Ästen hinauf. Wenn man genau hinsah, erkannte man, dass die einzelnen Äste, der verschiedenen Bäume ein großes Geflecht ergaben. Schnörkelhaft und Schraubenähnlich waren sie verzwirbelt.

Ein plötzliches Rascheln und Knacken unterbrach die friedliche Stille. Flügelschlagen kam hinzu und dann segelte der Falke trudelnd auf Ryn zu. Sie lachte "Na, das üben wir aber noch mal.", sanft fing sie den jungen Greifvogel ab und strich ihm über den gefiederten Rücken. Das in rot-schwarz gekleidete Mädchen setzte sich im Schneidersitz auf das abgerundete Ende des Felsenfingers, setzte den Falken auf ihren Oberschenkel und blickte zu ihm herab. Das Tier plusterte sich auf und gurrte kurz. "Na komm, spann mich nicht so auf die Folter! Was gibt es Neues?" fragte Ryn den Vogel und sah ihn an. "Wirklich?" fragte sie erstaunt. "Am Strand? Hm." fügte sie hinzu und kratze sich am Kopf. "Das könnte interessant werden." grinste Ryn und sprang auf die Füße. Der Falke fiebte und schlug mit den Flügeln um Halt in der Luft zu erlangen, "Tut mir leid, aber das muss ich mir ansehen!" lachte sie. Mit einem Satz sprang Ryn von dem Fels hinab, dabei stießen die Anhänger ihrer Kette aneinander und ließen ein leises Klirren ertönen. Der Greifvogel flatterte wieder die Baumwipfel hinauf und würde Ryn so folgen. Diese hüpfte über die großen Wurzeln und Steine, lief richtung des Strandes...

Hannah hatte einige Schwierigkeiten durch den weichen Sand zu gehen. Immer versank sie mit ihren schweren Wanderstiefeln. "Hmpf...", murrte sie. Das nahm ja einen guten Anfang. Zum Glück wurde sie von keinem Geschöpf angegriffen. Wäre das der Fall hätte sie ein echtes Problem. Plötzlich stieß ihr ein großer grauer Felsen, mit einem großen rotem Zeichen ins Auge. Schnell, so gut es eben ging, rannte das Mädchen zu diesem. Dabei wehten ihre langen schwarzen, zu zwei Zöpfen zusammengebundenen Haare nach hinten. Als sie vor dem Felsen halt gemacht hatte, strahlten ihre roten Augen voller Neugierde. "=D." Nun konnte sie das Zeichen auf dem Gestein besser erkennen. Es war ein Gemälde, dass 3 Menschen zeigten, die vor einem Mond, oder einer Sonne knieten. Hannah vermutete das waren die 'Götter' dieser Kultur. Aber wieso stand dieser Felsen hier ganz alleine? "Hm..Ich muss das aufzeichnen!", sprach sie zu sich selbst, nahm ihren Block aus ihrer Tasche, einen Stift und skizzierte das Gesehene.

Ryn rannte gekonnt über die Hindernisse hinweg, sprang oder schlüpfte über und unter ihnen hindurch. Sie kannte diesen Teil des Waldes sehr gut, konnte sich an jeden Stein und jeden Ast, ja, jede Wurzel die aus dem Boden ragte, erinnern. Sie lebte seit ihrer Geburt hier, wo auch sonst. Etwas anderes, als dieses Land hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen, aber sie war glücklich und zufrieden hier. Hin und wieder hörte sie den Ruf des Falken über sich und hin und wieder gab sie auch Antwort. Aber um so näher sie dem Strand kam, um so lichter der Wald wurde und umso lauter das Rauschen des Wassers wurde, umso weniger pfiff sie zurück. Sie wusste nicht genau, wer oder was dort am Strand angekommen war. Aber sie wollte es heraus finden. Seit langem war hier niemand mehr angekommen. Sie hatte es zu ihren Lebzeiten zumindest nicht erlebt. Die Ältesten ihres Stammes hatten von Neuankömmlingen gesprochen, aber diese waren ein großes Unheil...
Trotzdem war Ryn nicht negativ eingestellt. Es musste ja nicht immer etwas Schlechtes passieren... Die letzte Etappe überwältigte Ryn mit langsameren Schritten. Sie konnte das glitzernde Wasser schon erkennen, das blaue Meer. Wellen strichen über den Sand und wurden wieder zurück gezogen. Hinter einem der letzen Büsche kam Ryn zum stehen. Sie blickte sich um... Hier erkannte sie niemanden, aber dort war etwas langes dunkles am Strand. Ein Boot?
Sie war sich ziehmlich sicher und da sie hier keine Menschenseele gesehen hatte, schlich sie langsam über den warmen Sand zu dem Boot. Sie bemerkte nicht, dass in einiger Entfernung noch jemand an einem Stein hockte... "Hmmm..." machte Ryn und leckte sich über die Lippe und sah in das Boot...

Nachdem Hannah ihre Skizze vollendet hatte steckte sie den Block wieder in ihre Tasche und..Halt. Da war doch etwas! Das Mädchen drehte sich herum,sah zu ihrem Boot. Hatte sie da nicht gerade eine Bewegung gesehen? Unsicher legt sie ihre Hand auf den Griff ihres Messers. Man konnte ja nie wissen was als nächstes einem vor das Gesicht sprang. Ruhig verharrte sie, starrte zu ihren Boot und wartete auf ein Zeichen, dass sie nicht alleine war.

Die in Fell Gekleidete beugte sich über das Boot und musterte es. "Ist ja nichts mehr drin..." murmelte Ryn leicht enttäuscht. Aber es konnte noch nicht lange hier am Strand liegen, dachte sie. Das Holz war noch nass vom Wasser und keinerlei Witterungsspuren waren zu erkennen. Das Mädchen drehte den Kopf leicht herum und entdeckte erst jetzt die Fußspuren im warmen, weichen Sand. Der ebenso warme Wind strich ihr durch das Gesicht und brachte ihr Haar leicht zu wehen. Das Meer rauschte neben ihr und große Vögel zogen am Himmel ihre Kreise, flogen dann plötzlich spiralenförmig richtung Wasser und schossen mehrere Meter tief hinein. Mit einem Fisch kamen sie wieder zum Vorschein und flogen schnatternd davon.
Aufnerksam verfolgte Ryn die Spuren und dann entdeckte sie die Person weiter hinten vor dem Stein hocken "Huh...o.o" machte sie und duckte sich schnell. War sie schon gesehen worden? Das konnte das Mädchen nicht sagen. Die geflechteten Haarsträhnen fielen ihr in das Gesicht und sie kroch weiter hinter das Boot und lugte an der anderen Seite wieder zu der Gestalt am Felsen...

Als sie nur noch gute 10 Meter vor dem Boot entfernt war, blieb sie stehn und wartete. Sie wusste, dass sich dort etwas befinden musste.

Ryn versuchte im Schatten des Bootes versteckt zu bleiben, so lang, bis sie die Person, das Wesen, die Gestalt besser erkennen konnte, wer es war, WAS es war. Aber dafür war dieses 'Ein-Mann-Boot' kaum groß genug für. Sie kroch weiter an dem Boot entlang und lugte um die Ecke. Sie wich wieder zurück, als Ryn erkannte, dass sich die Person, so viel war ihr in den Zehnteilsekunden, die sie gucken hatte können, klar geworden... Kurz grübelte sie und dachte nach. Sie könnte jetzt aufspringen und sich zeigen. Was sollte sie auch anderes machen. Hinter ihr war das Meer - Ryn war keine Mer, so konnte sie auch nicht unter Wasser verschwinden. Vor ihr stand in einer geringen Entfernung die Person, die sie noch nicht einschätzen konnte... "Nagut..." murmelte Ryn und erhob sich langsam... Sand rieselte ihr von den Schienbeinen und den Händen. Beim Aufstehen klopfte sie sich über den Pelzrock um diesen wenigstens von den Handflächen los zu werden. Mit ihren smaragdgrünen Augen sah Ryn der Gestalt entgegen, nutzte die Gelegenheit und blickte sie an, -SIE, eine weibliche Person. Jung, vielleicht nur ein wenig älter, als Ryn selbst...

"Oh..o.o", kam es von Hannah, als sie das Geschöpf nun endlich zu Gesicht bekam. "Ein Kind..",murmelte sie und entspannte sich etwas. Dieses könnte ihr wohl kaum argen Schaden zufügen. "Hallo =)", rief sie freundlich.

Ryn nutzte den Moment der Überraschung und musterte die Person schnell noch einmal, so gut es ging. Würde es brennzlich werden, könnte sie sich verteidigen, ihre Hand wäre griffbereit, um ihren Dolch aus der Scheide zu ziehen...
Aber die freundlichen Worte und die Stimme ließen nicht darauf schließen, dass sie feindlich gesinnt war.
Das schwarzhaarige Mädchen fuhr sich über die Wange und strich sich die geflochtete Haarsträhne aus dem Gesicht. Hinter der Fremden war plötzlich ein Schrei zu hören. Der schwarz-braune Falke schoss aus den Blättern und flatterte wie wild über den Beiden herum... Gab ein Krächzen von sich und zog Kreise... Ryn blickte zu ihm hinauf und pfiff ihm zu... Die Kreise wurden größer und dann kam er sacht angesegelt und landete auf Ryns Unterarm "Schhhht... ganz ruhig..." flüsterte sie ihm zu und strich mit der Nasenspitze über seinen Kopf, durch sein Gefieder...
Jetzt blickte sie das Mädchen an, dass ihr gegenüber stand. Sie verstand ihre Sprache... "...Hallo..." erwiederte Ryn...

"Oh gut, du kannst meine Sprache. ^^ Das erleichtert so einiges.", gab Hannah fröhlich zurück. Scheinbar würde das Mädchen ihr nichts tun.

"Bestimmt..." sagte Ryn, obwohl sie nicht genau wusste, was die Fremde damit meinte. Wollte sie etwas Bestimmtes oder war es einfach nur auf ihre Kommunikation bezogen. Bis jetzt egal.
Der Greifvogel gab ein Gurren von sich, plusterte sich auf und schüttelte sich, wobei sich das Gefieder wieder an seinen schlanken Körper anlegte. Danach kletterte er an Ryn's Arm entlang, hoch auf ihre Schulter. Dort blieb er, sah das fremde Mädchen aber misstrauisch und zurückhaltend an, aus den großen gelben Augen. Man konnte beobachten, wie sich die Pupille mal weitete und fast das ganze Auge einnahm und wie sie sich zusammensog und nur noch ein kleiner schwarzer Punkt in dem gelben Meer war.
Ryn blickte auf das Boot hinab, die Wellen hinter ihr schäumten, fluteten den Strand und wurden dann wieder zurück in den Ozean gezogen. Weiter hinten am Strand krackselte ein Krebs mit einer großen Muschel als Haus über den Strand, die Möwen piesackten ihn immer mit attakierenden Sturzflügen und Schnäbeln, doch das kleine Krabbeltier wusste sich stets mit den Scheren zu behaupten.
Der Wind hier am Wasser war erheblich stärker als im Wald, er trug den salzigen Meergeruch zu Ryn und dem Mädchen. Ryn liebte die Düfte der Natur; salzige Meeresluft, feuchte Nebel, eine Sommerwiese voller bunter Blumen, der typische Geruch nach einem Regenschauer, oder auch einfach nur den süßlichen Duft der Bäume.
"Was... führt dich hier her? Du siehst nicht so aus, als wärst du von hier." Ryn betrachtete hinweisend die Kleidung des Mädchens, "Gesehen habe ich dich zumindest noch nicht..." grübelte Ryn weiter. Ihre Stimme war aber ebenfalls freundlich und es schwang eine Menge Aufgeschlossenheit mit.
Die vielen Härchen ihrer Kleidung wippten und wogen im Rythmus des Windes mit und leicht kitzelten sie an ihren Oberarminnenseiten. Die Griffbereitschaft, um im Fall aller Fälle an ihren Dolch zu kommen, hatte stark nachgelassen, aber wehrlos war die 'Eingeborene' nicht...

"Ich komme von weit her. =3 Von einem anderen Kontinent. WIe wird dieser hier eigentlich genannt?", sprach Hannah neugierig.

"Grandon" antwortete Ryn und blickte auf die große Waldfläche hinter dem Mädchen. "Das schönste Fleckchen auf dieser Welt" sagte Ryn ehrlich und stolz. Sie liebte dieses Land hier, aber sie war auch nicht der 'anderen Welt' gegenüber verschlossen. "Wie nennt ihr euer Land?" wollte sie nun von der Fremden wissen. Ihre Stimme war ebenfalls freundlich. "Gibt es dort auch so schöne Pflanzen und Bäume wie hier?" fragte Ryn hinterher. Sie bezweifelte es, denn so etwas schönes, wie das Leben hier auf diesem großen Kontinent konnte es nicht noch ein zweites Mal geben!

"Shefi.", antwortete Hannah. " Und doch, es gibt schon solche Pflanzen, Bäume.. Aber sie haben eine andere Farbe als diese hier und andere Formen."

"Achso..." sagte sie und lächelte kurz. "Was verschlägt dich hier her? Ich meine... eine so weite Reise, um hier her zuglangen?" Ryn nickte sacht mit dem Kopf "Auch wenn es hier so wunderbar ist, gibt es einen Grund?" Gerne schwärmte von diesem Ort und legte ihn gleich jedem ans Herz, dem sie trauen konnte und dieses Mädchen hatte keine bösen Absichten.