Kapitel 16: Tales from Meiji

Sie schaute ihn kurz an. Reden. Worüber? "Nagut.", war ihre Antwort. Sie schritten die teilweise zerstörte Mauer entlang. Das Schaben der Schaufeln begleitete sie noch ein paar Meter, bis es verschwand.

"... warum müsst Ihr das tun? Leichen herumschleifen ist eigentlich keine Aufgabe für eine feine Dame wie Ihr es seid", beginnt er im Gehen, die Arme hinterm Kopf verschränkt.

Nanami ließ sich einen Augenblick Zeit, um auf die Frage zu antworten "Wer sollte das sonst tun? Die meisten Männer sind verwundet, verschollen oder aber zu alt und gebrechlich." sie zupfte währenddessen an ihrem blutverklebtem Haar herum, um es wenigstens etwas davon zu befreien.
"Und ich glaube, dass es im Moment vollkommen egal ist, ob jemand fein ist oder nicht. Es wird jede Hand gebraucht und... ich bin mir auch nicht zu fein, für diese Aufgaben.", sie sah kurz zu ihm, richtete den Blick dann wieder nach vorn.

"Hm.. eine gute Einstellung... Eigentlich können wir aber doch froh sein, dass die Regierung Kyoto nicht einfach anzündet. Damit wären zwar die Straßen sauber aber mehr Aufbauarbeit..", entgegnete er, einer Wolke am ansonsten blauen Himmel nachschauend.

Nanamis Mundwinkel zuckte, dann atmete sie hörbar ein, eine Bemerkung herunter schluckend "Mir ist die Regierung im Augenblick völlig egal.", gab sie zurück und schloss die Augen. "Es ist egal, was sie tun. Von mir aus können sie alles niederbrennen, aber damit haben sie noch lange nicht das Vertrauen 'ihres' Volkes zurück."

"^^' Stimmt schon... Aber man sollte lieber nichts sagen, sonst sitzt der Kopf nicht mehr lange den Schultern..", merkte er an. "Immerhin haben die Herrschaften überall ihre Ohren..."

"Ohren kann man auch abschneiden." gab sie zurück und reckte ihr Kinn etwas vor, "Und diesen Kopf bekommt man nicht so leicht von den Schultern."
Dann hatten sie das Tor wieder erreicht, vor dem Mayuki immer noch wartete - gleich kam sie auch auf die beiden zugelaufen.
"Hm... ich fände es angenehmer, wenn man diese Unterhaltung verschieben würde, wenn sie dann nicht mehr so blutig ist.", sie deutete auf ihren Rücken, der noch immer mit einem großen Böutfleck versehen war. "Ihr könnt Euch dann auch waschen."

"Liebend gerne.", antwortet er. "Vielen Dank ^^"

Nanami nahm Mayuki bei der Hand und schritt mit ihr und der neuen Begleitung durch das Tor.
Auch hier gab es Trümmer, aber es war alles nicht so sehr verwüstet, wie der Rest der Stadt. Fast wie ein kleines Wunder.
Sie begleitete Kintaro zu einem Platz, der behelfsmäßig durch Bretter abgegrenzt wurde. Von diesen 'Räumen' gab es drei Stück.
"Hier könnt Ihr Euch waschen.", sie sah ihn abschätzend an, aber eine große Spur freundlicher als noch vor ein paar Minuten. "Ich hoffe, dass es Euch nichts ausmacht, Euch unter 'solchen Zuständen' zu reinigen."
Mayuki an ihrer Hand hatte den Blick die ganze Zeit wie starr auf Kintaro gerichtet. Sie schien wohl sehr beeindruckt von seiner Erscheinung.
"Ihr bekommt auch etwas zum Anziehen, so lange, bis Eure Sachen wieder sauber sind. Wenn Ihr fertig seid, dann geht dort vorn zu dem Haus-" sie deutete zu einem, dem die Westwand fehlte, -"dort, naja, ist die Küche, dort gibt es Essen - später. Wartet dort."

"^^ In Ordnung", erwiderte er und verschwand hinter den Brettern, um sich zu reinigen. Leicht angefledderte Uniform ausgezogen, schnell den Zopf aufgebunden und - PLATSCH - einen Eimer Wasser über den Kopf gekippt, auf dass das Wasser allen Schmutz mit sich nehme.

Nanami tat unter dessen nichts anderes. Auch sie zog sich in eine dieser abgetrennten Bereiche zurück. Auch sie ließ die Hüllen fallen und konnte sich endlich vom Blut und den Resten befreien. Das kalte Wasser ließ sie erschaudern und auch die kleine Mayuki bekam einen Eimer ab, den Rücken geschruppt - bis beide wieder sauber und gepflegt aussahen.

Nach der Prozedur, in frischen Kleidern, die keine anderen waren, als die die Frauen auch bei dem Massengrab getragen hatten - ein einfacher, schwarzer Samue. Viel bequemer und es ärgerte einen nicht so sehr, wenn dieser schmutzig wurde.

Ein solches, ähnliches Kleidungsstück bei sich ebenfalls vorfindend zieht sich der Jüngling das schwarze Stück über und beginnt seelenruhig, seine blutige Kleidung zu waschen. Ist schließlich lang genug her und er hatte viele Leute auschlitzen müssen, die meinten, sich aus seiner Haut einen Ruf schneidern zu wollen!

Nanami machte sich inzwischen bei den älteren Frauen nützlich, jene, die weder draußen aufräumen, noch ein großes Loch ausheben konnten. Sie hatten eine andere Aufgabe zugewiesen bekommen; Essen zubereiten.
Es kam im Augenblick kaum vor, dass man mehr hatte, als ein paar Rüben, Möhren, etwas Hühnerfleisch und ein paar Kohlköpfe. Aber das reichte immer aus, um etwas zuzubereiten.

Mayuki hatte sich inzwischen davon geschlichen. Die Neugierde hatte sie dazu angetrieben. Auf Zehenspitzen näherte sie sich dem Waschabteil, in dem sich Kintaro noch aufhalten musste. Sie stand nahe des Brettes, das zur Wand umfunktioniert worden war, und versuchte durch einen Schlitz in das Abteil spähen zu können. Erfolglos. Also schlich sie sich zum Eingang, dessen Tür ein einfaches Tuch war.

"... So jung und schon so notgeil ^^?", schien Kintaro Selbstgespräche zu führen, meinte damit aber das junge Fräulein mit den neugierigen Blicken.

Mayuki zuckte von dem Trennvorhang zurück. Wie hatte der Mann sie denn sehen können? Sie kaute auf ihrer Unterlippe und schwieg, gab keine Antwort. Vielleicht meinte er sie ja auch gar nicht! Bestimmt, dachte die Sechsjährige und traute sich wieder näher an den Vorhang.

Nanami hatte inzwischen das Fehlen des Mädchens bemerkt - schließlich war es plötzlich so still gewesen, wenn man einmal von dem Geplänkel der Alten absah, vom Köcheln des Wassers und von den Bauarbeiten der anderen, die hier überall vorherrschten.

"^^ Jetzt komm schon rein.", forderte Kintaro nun mit Nachdruck, als er erstens keine Antwort und zweitens stattdessen das leise Rascheln des Vorhangs und des Bodensandes hörte.

Mayuki hatte man immer gesagt, dass man der Aufforderung eines Erwachsenen nachgehen musste, also schob sie sich langsam in das Waschabteil und blickte nun verhalten zu dem Mann auf, den Nanami ihr als 'sehr, sehr netter Mann' vorgestellt hatte. Was Nanami sagte, das stimmte auch!
"Hallo... tut... tut mir leid, dass..." mehr bekam sie nicht heraus.

"Schon gut", erwiderte der Knabe mit leichtem Lächeln über ihre derart naive Art. "Gibt es etwas, das du wissen möchtest? ^^ Oder wolltest du einfach nur guggen?", fragte er nun seinerseits.

Mayuki zupfte an dem zu langen Ärmel ihres rechten Armes herum. Das kinnlange, schwarze Haar war leicht vom Wind zerzaust worden und immer noch klamm vom Bad.
"Darf ich... darf ich einmal..." ihre Augen blickten zu seinen Sachen, zu dem Katana. Gleichzeitig hob sie die Arme an, ganz so, als wollte sie die Hände falten, um ihrer augenscheinlichen Bitte Ausdruck zu verleihen. Dabei konnte sie das gar nicht mehr. Ihre linke Hand griff einfach in den Stoff, der nachgab - am rechten Arm war gar keine Hand mehr.

"^^ Was möchtest du?", fragte er erneut, als das nicht aus ihren stammelnden Worten hervorging.

Mit dem ihr verbliebenen Zeigefinger deutete sie zum Schwert, rannte gleich darauf zu der Stelle, an der es ordentlich drapiert lag. "Mir... das einmal anschauen? "
Scheinbar war die Zurückhaltung von der Begeisterung zurückgedrängt worden. Jetzt ungeduldig tänzelte sie hin und her. Er würde ihr das bestimmt erlauben! Er ist doch nett! Und sonst muss sie eben den Blick einsetzen, der ihr eigentlich immer Zugang zu allem verschafft hatte, was sie wollte; Süßigkeiten, Kleider, Spielzeug, eine wunderschöne Haarspange, die ihr irgendwo verloren gegangen war...

"^^ Nein.", sprach er entgegen ihrer Vorstellungen aber zuckersüß lächelnd. "Das ist nichts für Kinder."

"Aber!" begehrte sie gleich auf und zog eine Schnute "Nur einmal angucken! Ich... werd auch Nami nichts erzählen, wirklich! Ó_Ò..."

Diese hatte sich auf die Suche nach Mayuki gemacht. Wo war das kleine Teil-Zeit-Biest jetzt schonwieder?

"^^ Na schön.. guggen ja.", gab er nach und nahm sein Schwert auf und zog es halb. "Aber nicht anfassen, das ist messerscharf."

"Ich bin ja nicht blöd!", gab sie zurück und schritt näher an das Katana heran und beäugte es aufmerksam. Und trotzdem... ihre Finger juckten schon so... "Ich möchte es ganz sehen, bitte!", sagte Mayumi auf und ab hüpfend.