Kapitel 05: Wolf Quest

"... Ich kämpfe mit niemandem..", erwidert die schwarz-weiße und senkt den Blick. Fast liegt Wehmut in ihrer Stimme, da sie das eigentlich gerne tut, aber bisher unbeabsichtigterweise jeden Herausforderer nicht nur besiegt sondern schon bei der ersten Berührung getötet hat und es so nie zu einem richtigen Kampf gekommen ist.

Tibanna hatte die Grenze von Wald zur flachen Ebene einige viele Meter hinter sich zurückgelassen. Es war weitaus dunkler, da die Blätter und Nadeln der Bäume der Sonne verwährten, ihre Strahlen auf den Waldboden scheinen zu lassen. Nur vereinzelt drangen Lichtkegel zwischen den Lücken der Blätterdächer hindurch. Es waren mit verlaub die einzigen wirklichen Lichtquellen. Wenn der Wind bließ, tanzten die Lichtpunkte am Boden und auf Tibannas Fell. Als sie noch weiter in den Wald hineinging, wurde auch der Schnee weniger, bis der Boden wieder bloß aus Erde, Moos und Gras bestand, da auch der Schnee keine Chance hatte, weiter vorzudringen. Hatte man aber Pech und man stand bei einer starken Böhe am falschen Ort, hörte man erst nur ein Knacksen der Äste und spürhte dann einen leichten Schlag auf Kopf, Schultern oder Rücken, wenn ein Ast unter der Schneelast nachgegeben hatte und dieser nun auf den Körper gefallen war...
Diese peinliche Situation war Tibanna bisher erspart geblieben. In gleichmäßigem Tempo setzte die Fähe eine Pfote vor die andere und striff weiter... Dann vernahm sie ein Knacken. Es war aber kein Knacken eines Astes in den Baumwipfeln... Nein, das kam vom Boden, auf Tibannas Ebene.
Die Weiße blieb stehen, blickte sich sorgfältig um. Nichts war zu erkennen, nichts zu sehen, nichts ungewöhnliches, aber auch nichts zu wittern...
Doch plötzlich sprang ein mit Klauen und Zähnen besetzter Schatten aus dem Dickicht auf die Wölfin zu und bevor Tibanna reagieren konnte, spührte sie einen stechenden Schmerz in der linken Flanke... Der Geruch ihres Blutes folgte und dann stellte die fest, dass sie drei tiefe Schnittwunden in der Flanke hatte... Sie drehte sich um... sah dann die leuchtenen, gelben Augen und das Gesicht des Angreifers. Ein Puma oder auch Berglöwe genannt, hatte sie angefallen, doch warum? Nichts hatte Tibanna getan? Vielleicht war es das Revier des Pumas... Dennoch wäre dies kein Grund sie hinterhältig anzugreifen! Ihre Nase kräuselte sich auf das tiefe Fauchen der Großkatze hin und das Nackenfell sträubte sich... Vielleicht eine Krankheit, die das Tier zum rasen brachte? Hoffentlich hatte sie sich jetzt nicht angesteckt... "Verschwinde!" zischte Tibanna, hob das linke Bein etwas an, damit der verletzte Muskel nicht zu sehr angespannt wurde...
Die schlitzartigen Augen der Katze funkelten sie an " Verschwinde DU von hier... Wolf...!!" kam von der Katze zurück...

"... Hast du keinen Hunger?", fragt Rukia schließlich nach einem Moment und schaut die Fremde fragend an.

"Was gibt dir den Anlass mich so anzugreifen?" fragte Tibanna mürrisch und behielt die Katze stets in den Augen... Diese schlich langsam, in einem Bogen um die Wölfin herum. Die Eleganz einer Katze, war mit der Eleganz eines Wolfes nicht zu vergleichen. Keine der beiden war besser... Die Schultern des Pumas hoben und senkten sich gleichmäßig, als sie ging. Ihr lange, dünner Schweif zuckte hin und her "Du hast hier nichts zu suchen! Es gibt schon genug von euch Wölfen in diesem Gebiet!" fauchte sie und sah Tibanna scharf an. "Ich bin nur auf der Durchreise..." verteidigte sich Tibanna und wies alle Schuld von sich. Was auch immer Geschehen war, gute Erfahrungen hatte dieses Tier nicht mit Wölfen gemacht. Vielleicht wurden deren Jungen von einem Wolf gerissen? Für viel Mitgefühl hatte Tibanna aber nichts übrig, so war die Natur eben. Leben oder Sterben, Fressen oder Gefressen werden; die üblichen Sätze, die ausgesprochen wurden, wenn man über Mutternatur sprach.
"Ich habe nicht vor, dich Katze, anzugreifen..." knurrte Tibanna und unterdrückte den aufkommenden Schmerz in ihrer Hinterkeule... Allein das wäre ein Grund gewesen, den Berglöwen anzugreifen, doch sie wollte das Risiko nicht eingehen, mehr Verletzungen abzubekommen... Hin und hergerissen hob die Wölfin den Kopf und bat der katze ihre weißen, spitzen Zähne dar...
"Ich will nichts von dir!!" wiederholte Tibanna mit Nachdruck, folgte der Katze mit den Augen. "Verschwinde, oder ich werde dir die Augen auskratzen müssen!" gab es von dem Puma zurück...
Es war nicht Tibannas Art nachzugeben, bestimmt nicht. Doch hierbei schien es schlauer zu sein, wenn sie ihr Leben nicht gefährden wollte. Sie war verletzt, der 'Löwe' nicht und strotzte nur so von Kraft...
Wütend schritt Tibanna zurück, mit dem Gesicht immer zu dem Puma...

"Nein, dir steht dein Anteil daran zu!", korrigiert Rukia die fremde Wölfin nur leicht den Kopf schüttelnd und damit ihre Worte untermauernd.

Der Berglöwe folgte Tibanna ein ganzes Stück, sehen tat sie ihn nicht mehr, doch der Geruch der Katze stieg Tibanna in dieser zeit nochimmer in die Nase... Die Schmerzen ignorierend, lief Tibanna bestmöglich auf allen vier Pfoten. Ihr Fell war an den Wunden rot verklebt und hart. Es bluete nochimmer... Die Wölfin hatte sich dem Puma abgewandt, die Ohren aber stets nach hinten gerichtet um einen Angriff diesmal mitzubekommen und sich verteidigen zu können. Doch nichts dergleichen folgte. Der Geruch der Katze ließ auch nach, sie hatte Tibanna wohl geglaubt, dass sie weiterzog, doch die Attake war nochimmer unbegründet. Sollte sie sich entzünden, schlimmer werden und zum Todesurteil für Tibanna werden, würde sie sich kurz vor ihrem Tod ärgern, es dem Tier nicht heimgezahlt zu haben, bestimmt.
Nun war es aber zu spät. Obwohl. Vielleicht würde sich Tibannas Anwesenheit noch in die Länge ziehen, durch die verletzung. Sie konnte ja in diesem Wald bleiben und warten, bis sich die Chance ergab, den Löwen anzugreifen und ihm eine Lehre zu erteilen. Eigentlich wollte die Weiße so schnell es ging, weg von diesem Ort. Nicht weil er nicht schön war, sondern weil sie wusste, dass er die letzte Etappe vor ihrem Ziel war. Sie war so nah dran, jetzt durfte sie nicht wegen ein paar Kratzern aufgeben oder sterben.
Als sich die einsame Wölfin sicher und unbeobachtet fühlte, ließ sie sich an einem umgefallenem Baum nieder. Der Stamm lag halb über einer Kuhle im Boden, sodass es den perfekten Ort zum ausruhen ergab. Wurzeln hingen von der Decke herab, es war nicht groß, aber für einen Wolf außreichend. Mit einem Schnauben ließ Tibanna sich in dieser 'Höhle' nieder, streckte das verletzte Bein von sich und begann mit ihrer warmen Zunge über die Wunden zu lecken. Selten schmeckte sie ihr eigenes Blut...

"óô Du hast sie erbeutet..", erwiedert Shyama mit einem Schnauben.

"Du hast dich an der Jagd beteiligt oo"

Die weiße Wölfin rollte sich leicht zusammen, das vertrocknete Blut in ihrem Fell herausknabbernd. Ihre Lefzen zuckten hin und wieder, wenn sie sich dabei selbst Schmerzen zufügte, doch nur so konnte sie die Wunde richtig reinigen und vor gefährlichen Entzündungen schützen. Beim knabbern gab sie schnaufende, hin und wieder auch aufwinselnde Laute von sich, die aber schnell wieder verstummten. Sie wollte keine anderen Tiere anlocken, keinen Berglöwen, keinen Schwarzbären oder Grizzly... Es wäre das schlechteste was ihr im Moment passieren konnte. Oft blickte sie hinaus, über den kleinen Hügel hinweg, um zu gucken ob sich jemand ihrem Versteck näherte. Doch bisher war sie allein. Nein, allein war das falsche Wort. Vogelgezwitscher war zu hören. Finken und Spatzen, aber auch die ihr allzubekannten Raben. Ihre krächzenden Rufe erinnerten Tibanna an ihren damaligen Lebensabschnitt, den sie lang zurückgelassen hatte.
Krähen und Raben hatten sie verfolgt, aber auch nur, weil Tibanna, der Uthla, es war, die sie zu Kadavern brachte, die das ehemalige Rudel zurückgelassen hatte. Geteilt hatte sie sich das Futter nie mit den Vögeln. Sie hatte es stets verteidigt, doch gänzlich verhindern hatte sie es nicht können, dass ihr die Raben etwas von ihrer Beute stahlen.
Später war es Alltag geworden, mit den Raben zu fressen. So war sie auch zu dem Namen 'Rabenwolf' gekommen. Unpassend, wie Tibanna fand. Raben waren tiefschwarz, an einigen Stellen violett glänzend. Die Wölfin war weiß... Als Beleidigung hatte Tibanna diese Bezeichnung erachtet, doch nun gefiel ihr der Name 'Rabenwolf' irgendwie... Er klang zum Teil mysteriös, finster und geheimnisvoll... so wie Tibanna es eben war. Ihr fell war zwar reinweiß, doch ihre Seele befleckt... schwarz...
Dann und wann hörte Tibanna es knacken und eine Ladung Schnee fiel wieder auf den Erdboden.
Wieder bearbeitete sie ihre Wunde.

"o.o Das war reiner Selbstschutz. Das ..ehm..Hirschgetier hätte mich fast um Haaresbreite zertrampelt.."

"Dennoch steht's dir zu.. bedien dich ruhig...", seufzt Rukia, die soviel Bescheidenheit kaum nachvollziehen kann.

"Ich fress erst was, wenn das Tier nicht mehr weglaufen kann..."

"óô Wie soll es weglaufen? Es ist tot.", verständnisslos beginnt Shyama an dem Ren vereinzelte Stücke heraus zu reißen.

"Nicht, wenn ich es jetzt berühren würde..."

Tibannas Ohren drehten sich im Schlaf immer unabhängig voneinander nach vorn und nach hinten... Bis auf die üblichen Geräusche hörte sie nichts. Sie war beruhigt. Vielleicht konnte sie einmal in ihrem Leben lang genug schlafen, 'ausschlafen', genug Energie sammeln für die nächste Etappe... Stille bedeutete auch Einsamkeit. Aber daran war sie gewohnt. Sie hatte es sich ja schließlich auch ausgesucht. Sie wurde aus dem Rudel verstoßen, weil sie eben lieber alleine war...
Die Blätter wisperen im Wind, die Felsen schwiegen...

"Wovon redest du?", spricht Shyama mit vollgestopften Maul, so dass die hälfte der Buchstaben verschluckt wurden.

Das Rauschen des Windes ließ hin und wieder nach, nahm dann und wann wieder zu... Tibanna hörte es an dem Rascheln der Blätter im Wind.
Sogar das plätschern eines weiteren Bach- oder Flusses konnte sie aus den verschiedenen Geräuschen heraushören... Er zog sich durch den Wald, bis tief ins Innere... Wenn Tibanna weiterziehen würde, würde sie diesem wohl folgen. Ein Rascheln ließ Tibanna ihre Augen öffnen und den Kopf heben, sofort stellten sich ihre spitzen Ohren in die Richtung der Geräuschequelle...
Die schwarze, glänzende Nase der Wölfin zuckte, die Luft ein saugend und wieder ausstoßend... War es wieder der Berglöwe? Sie spannte sich an, sogleich gegann die Wunde wieder mehr zu schmerzen... Bevor Tibanna leise begann zu knurren erblickten ihre eisblauen Augen ein Kaninchen, welches aus dem Gebüsch hoppelte, verharrte und sich dann auf die hinterläufe setzte und sich mit den schwarzen Knopfaugen umsah... Den Wolf hatte es wohl noch nicht bemerkt, aber Tibanna war momentan auch nicht gefährlich, da sie sich eben erst den Bauch vollgeschlagen hatte. Tibanna legte den Kopf leicht zur Seite und sah dem Häßchen zu. Das Näßchen zuckte schnell und die langen Ohren drehten sich in alle erdenklichen Richtungen. Flink und aufmerksam waren die Kaninchen, für einen unerfahrenen Wolf eine schwere Beute. Nah musste man sich heranschleichen können, so nah wie es nur ging, denn die Haken eines Kaninchens konnte kaum ein anderes Wesen folgen.
Die Wolfsdame Tibanna hob den Kopf leicht an und gähnte herzhaft mit geschlossenen Augen. Dabei entwich ihr ein leises Jaulen.
Das braun-graue Kaninchen mit dem weißen Plüschstummelschwänzchen zuckte, drückte sich nah an den Boden und schien die Luft anzuhalten... Typisch. Wenn sie sich in Gefahr sahen, warteten sie... ließen den Feind so nah wie sie es sich zutrauten herankommen, sodass sich das anschleichende Raubtier in Sicherheit wog und dann mit einem plötzlichen Weghechten entkommen. Das war der Weißen schon öfters passiert, das gab sie zu.
Mit einem lauten Schnaufen brachte sie den Nager dazu, mit einem Hüpfer wieder im Dickicht zu verschwinden. Blätter glitten zu Boden und blieben dort liegen. Einige Male konnte Tibanna noch hören, wenn das Kaninchen durch einen Busch sprang, dann war es wieder weg...
Tibanna kroch etwas nach vorn, um sich nocheinmal besser umzusehen. Sie lugte mit dem Kopf aus dem Erdloch heraus und schwenkte den Kopf langsam von rechts nach links. Unverändert standen die Bäume dort, die Büsche und die Gräser wogen sacht im Wind. Ruhig und entspannt, trotz der pochenden Wunde, legte Tibanna ihr Kinn auf die abgerundete Kante der Kuhle, inder sie lag. Ihr weißer Kopf sprang einem sofort ins Auge, zwischen dem umliegenden Grau- und Brauntönen.

"Du hast es doch sicher gesehen... Was tot ist, erwacht durch meine Berührung wieder zum Leben, was lebt, tut seinen letzten Hauch..", versucht Rukia zu erklären und klingt dabei merkwürdig melancholisch.

"Hoffen wir's oo", schnaubt Rukia ihrerseits, die schon Hackfleisch hat rennen sehen und sich daher damit begnügt, sich den - für eine Wölfin fast zu kleinen - Magen mit dem Fleisch von der abgerissenen Keule vollzuschlagen.